(20.06.2025) Dass an diesem Anspruch tatsächlich etwas dran ist, davon konnten wir – Mario Rietig (MIK) und Alexander Lösch (PD Nord, KDir) – uns spätestens am letzten Tag unserer Reise überzeugen. Doch dazu später mehr…
Auf den Spuren von Hans Gross
Unser einwöchiger Trip nach Österreich begann am 18. Mai im Rahmen des Erasmus+-geförderten Angebots der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Zu Beginn unseres Masterstudiums Kriminalistik hatte uns Dr. Nina Kaiser – damals noch per Videocall – ihr Zentrum und die Pionierarbeit des namensgebenden Grazer Kriminalwissenschaftlers Hans Gross vorgestellt.
Hans Gross (* 1847; † 1915), österreichischer Strafrechtler und Kriminologe, gilt mit der Herausgabe seines Werks „Handbuch für Untersuchungsrichter“ (1893) als Begründer der Kriminalistik – „the first real life scientific detective” (Nickel/Fischer). |
Neben der Etablierung der „Kommissionstasche“, heute als Tatortkoffer bekannt, entwickelte Gross vielfältige Methoden zur Spurensicherung und -auswertung, darunter „peinlichst genaue“ Tatortskizzen, Gipsabdrücke von Fußspuren oder den Einsatz von Spürhunden. An die Kriminalbeamten seiner Zeit richtete er den Appell: Der Gendarm müsse sich stets „der immer und immer großen Wichtigkeit seiner Arbeit bewusst“ sein. Er dürfe niemals denken, dass er nur „beiläufig“ zu arbeiten habe und die Hauptsache das Gericht erledigen würde. „[Er] vergesse nie, dass meistens seine Anzeigen die Grundlage für das ganze Verfahren bilden, und ist die Grundlage schlecht, so ist alles auf ihr Aufgebaute ebenfalls schlecht.“
Ankunft in Graz
Mit einem Zeitsprung in die Gegenwart fanden wir uns also im Zug nach Graz wieder. Die letzten 200 Kilometer der insgesamt zwölfstündigen Reise führten uns durch Täler und Tunnel des steirischen Gebirges. Nach unserer Ankunft in Graz, einer pulsierenden Universitätsstadt mit fast 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, wurden wir am Montag von Frau Dr. Kaiser und der Dekanin der rechtswissenschaftlichen Fakultät, Frau Prof. Dr. Schmölzer, herzlich begrüßt.
Internationale Perspektiven
Abseits des regulären Lehr- und Forschungsbetriebs bot sich uns daraufhin die Gelegenheit, an der „Summer School of Criminal Justice“ teilzunehmen – „armed with rusty English and good intentions“, wie wir bisweilen selbstironisch feststellen mussten. In den folgenden Tagen diskutierten wir gemeinsam mit Studierenden der Montclair State University aus New Jersey über die Ausgestaltung der unterschiedlichen Rechtssysteme oder tauschten uns auch über vermeintlich profanere Themen wie Krankenversicherungen und – zur Überraschung aller – die von den US-Studierenden gelobte Qualität europäischer Systemgastronomie aus.
Zu den Highlights der Woche zählten unter anderem gemeinsame Besuche der Justizanstalt Graz (Zitat der US-Amerikaner: „positively shocked!“), der Staatsanwaltschaft, einer Gewaltschutzambulanz sowie des Vereins NEUSTART. Einblicke in für Brandenburg noch neuartiges Terrain erhielten wir zudem bei Prof. Dr. Martin Schmid, der als Sachverständiger vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften das Grazer Drug-Checking-Projekt „triptalks“ wissenschaftlich begleitet und die dazugehörigen Substanzanalysen durchführt.
Fokus Häusliche Gewalt: Prävention und Intervention in Österreich
Mit dem Besuch beim Verein NEUSTART, der Gewaltschutzambulanz und darüber hinaus eines Gewaltschutzzentrums rückte schließlich das Thema häusliche Gewalt in den praktischen Fokus. Ähnlich wie in Brandenburg, wo ein Netzwerk aus Frauenhäusern, Gewaltschutzambulanzen und spezialisierten Beratungsstellen existiert, wurde auch in Graz deutlich, wie wichtig ein koordiniertes Zusammenspiel verschiedener Institutionen ist, um Betroffene häuslicher Gewalt effektiv zu unterstützen.
Bemerkenswert erschien uns hier die rechtliche Verpflichtung des Gefährders bzw. der Gefährderin, binnen fünf Tagen ab Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots die Beratungsstelle für Gewaltprävention zu kontaktieren, um einen Termin zu einer Gewaltpräventionsberatung zu vereinbaren (§ 38a Sicherheitspolizeigesetz). Zunächst etwas irritiert über die Durchsetzbarkeit der Maßnahme, wurde uns von den beteiligten Institutionen geschildert, dass mehr als 80 Prozent der Betroffenen die mindestens 6-stündige Beratung dankbar annehmen (weitere Infos hierzu: www.gewaltinfo.at). In Brandenburg hingegen kann eine solche verpflichtende Beratung nur im Einzelfall auf polizeilichen Antrag gerichtlich angeordnet werden (§ 16c Abs. 2 BbgPolG).
Wissenschaftlicher Austausch und polizeiliche Praxis
Auf universitärer Ebene bot sich zudem die Gelegenheit zum fachlichen Austausch mit Dr. Nina Kaiser sowie den Zentrumsmitarbeitenden Ida Leibetseder und Dr. iur. Sebastian Gölly. Im Mittelpunkt standen die rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem Ansätze eines wirksamen Risikomanagements im Kontext häuslicher Gewalt. Alle drei beschäftigen sich intensiv mit verschiedenen Risk-Assessment-Instrumenten sowie mit dem Einfluss von Intuition im strafrechtlichen Entscheidungsprozess – wertvolle Impulse für eine der anstehenden Masterarbeiten, die sich der polizeilichen Gefährdungsbewertung widmen wird.
Der „One-Stop-Shop“ in Aktion
Abschließend – ganz im Sinne des postulierten Selbstverständnisses – wurden wir eingeladen, am letzten Tag unseres Aufenthalts am jährlichen Fakultätstag teilzunehmen und einen Beitrag im Rahmen des Workshops „Interdisziplinäre Perspektiven auf Gewalt im sozialen Nahraum“ zu leisten. So fanden wir uns kurzerhand in der Riege der Vortragenden wieder und referierten anhand eines anekdotischen Fallbeispiels über die Fallstricke polizeilicher Lagebewältigung sowie die ministerielle Auseinandersetzung mit dem Thema im Lichte der Istanbul-Konvention sowie der landesspezifischen Herangehensweise.
Fazit
Alles in allem ein rundum gelungener sowie erinnerungswürdiger Aufenthalt und letztlich auch ein Appell an alle Fortbildungsinteressierten, den Blick verstärkt auf nichtpolizeiliche Forschungsstellen zu richten und den interdisziplinären Austausch zu suchen.
Ein ausdrücklicher Dank gilt an dieser Stelle den verantwortlichen Stellen an der HPol, die dem Vorhaben nicht mit Vorbehalten, sondern mit regem Interesse begegneten. Namentlich zu nennen sind der ehemalige Studiengangsleiter und „Motor“ vieler Initiativen Pepijn van Dijk ebenso wie die Erasmus+ Koordinatorin Tanja Meyer sowie Sebastian Krah.
Autoren: Mario Rietig, Alexander Lösch
Dieser Bericht entstand noch vor der grauenvollen Amoktat am 10. Juni 2025. Angesichts der spürbaren Unbeschwertheit und des herzlichen Stolzes vieler Grazer auf ihre Stadt macht es umso fassungsloser und tief betroffen, dass ein so unvorstellbarer Akt der Gewalt nur wenige Tage später so viel überschattet hat. Unsere Gedanken und unser tiefstes Mitgefühl gelten allen Opfern, ihren Angehörigen sowie der gesamten Stadt Graz.