Abhandlungen

Kapitel 5: Historische und ethische Einordnung des Handelns von Fritz und Elisabeth Fehrmann

Karl Wilhelm Fricke gibt in der Einleitung seines maßstäblichen Aufsatzes Definition und Einordnung dieser Art von Spionage: „Spionage, verstanden als Sammeln, Verraten und Ausliefern von Staats- oder Dienstgeheimnissen politischer, militärischer oder wirtschaftlicher Natur an eine gegnerische Institution, zumeist an den Geheimdienst eines anderen Staates, ist als Landesverratsdelikt grundsätzlich in jedem Staat strafbar. Unter den Bedingungen eines totalitären Regimes, eines Unrechtstaates kann Spionage allerdings eine legitime Form von Widerstand sein, soweit sie politisch motiviert und sich gegen illegitim ausgeübte Herrschaft richtet. Aus dieser Sicht ist Spionage im Widerstand gegen die beiden Diktaturen im Deutschland des 20. Jahrhunderts durchaus als eine historisch gerechtfertigte Erscheinungsform illegalen politischen Kampfes zu achten und zu würdigen.

Dennoch ist zu fragen, warum die Zeitgeschichtsforschung Spionage in der SBZ/DDR als antikommunistischen Widerstand bislang nur zögerlich wahrgenommen hat. Im Vergleich dazu hat die Forschung der Spionage im antifaschistischen Widerstand längst einen hohen Stellenwert eingeräumt, wenn es auch dazu seine Zeit brauchte. Heute käme vermutlich niemand mehr auf die Idee, die Spionage etwa der in Berlin einst zur ‘Roten Kapelle’ gehörenden Männer und Frauen nicht als politischen Widerstand zu begreifen.“ (S. 565)

Fritz Fehrmann verlor am 21.10.1961, fünf Tage vor seinem 38. Geburtstag sein Leben, Elisabeth Fehrmann mit 41 Jahren ihren Ehemann und für vier lange Zuchthausjahre die Freiheit und ihre Kinder. Ihre Vermögen wurden eingezogen. Auch Karl Wilhelm Fricke bestätigt zwar: „Seine Materialien waren von so hohem Informationswert, dass die CIA insgesamt 45.000 Mark der DDR und 9.000 DM dafür zahlte.“ (S. 576) Jedoch muss man dazu feststellen, dass dies ein verhältnismäßig geringer „Lohn“ für eine über neunjährige Tätigkeit unter ständiger Verhaftungs- und Todesgefahr war und dafür ein hohes Maß an innerer Überzeugung notwendig war. Denn er hatte am 15. Januar 1949 einen Amtseid ablegen müssen, in dem stand, dass ihm bei Verletzung der gelobten Pflichten „schwere Bestrafung“ drohte. Er war nicht der Erste, der einen in einer Diktatur geschworenen Eid bewusst gebrochen hat. Außerdem kann man der Einordnung von Karl Wilhelm Fricke folgen, dass Vertrauensleute von Widerstandsbüros im westlichen Berlin oder solche, die mit gegnerischen Geheimdiensten zusammenarbeiteten, in der DDR „pauschal als ‘gekaufte Spione’ und ‘bezahlte Agenten’ verunglimpft und geächtet“ wurden. „Originell war das nicht. Schon die nationalsozialistische Propaganda hatte Widerständler mit Geheimdienstverbindungen als ‘bezahlte Landesverräter’ gebrandmarkt. In ähnlichem Sinne wurde den Männern und Frauen, die Spionage aus Überzeugung leisteten, von der SED schlechthin jede politische und oder sittliche Verankerung abgesprochen.“ (S. 566) Und weiter hinten in Frickes Aufsatz: „Rüdiger Henkel, der mit seiner Untersuchung Was treibt den Spion? eine voluminöse Arbeit zur Motivforschung in der Spionage vorgelegt hat, weist anhand empirischer Befunde nach, dass auch im Spionagemilieu ‘kaum ein Mensch aus einem einzigen Motiv, sondern aus einem Motivbündel heraus handelt’-… Viele der stets als idealistische, selbstlose ‘Kundschafter des Friedens’ in der Westarbeit des MfS haben es übrigens mit ihrer hehren Gesinnung ohne weiteres für vereinbar gehalten, für ihre Spionagetätigkeit Gelder bis zu einer Dreiviertel Million Mark zu kassieren.“(S. 577)

Noch im Angesicht der Todesstrafe betrachteten die Mächtigen der DDR den Angeklagten als ihr politisches Eigentum, der weder in der DDR noch anderswo zu leben verdient habe. Und wie Fricke (S. 577) mit Zitaten von Horst Zimmermann aus dem angegebenen Buch von Gerhard Sälter (S. 124) treffend die deterministische Misanthropie der Staats- und Parteiführung sowie der Justiz in der DDR bezüglich dieser Fälle beurteilt: „Das kommunistische Gewaltsystem hat noch zu keiner Zeit seinen Gegnern zugebilligt, aus Überzeugung im Sinne des kategorischen Imperativs zu handeln. Wer als Gegner des Terrorapparates handelte, musste als moralisch verkommen dargestellt werden, als (…) ein politisch-kriminelles Subjekt, oder geisteskrank sein.“

Klaus Bästlein hebt in seinem Buch „Der Fall Mielke“ noch den Hinweis des Generalstaatsanwaltes in dessen Brief vom 7.9.1961 an das ZK der SED hervor: „‘Der Hauptverhandlung sollen gemäß Absprache zwischen MfS, HVDVP (Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei, Anm. d. Verf.) und Abtl. Sicherheit beim ZK der SED die Chefs der BDVP`s (Bezirksverwaltungen der Deutschen Volkspolizei, Anm. d. Verf.) u. die Parteisekretäre hinzugezogen werden, um eine entsprechende Auswertung in Bezug auf die Erhöhung d. Sicherheit u. Wachsamkeit zu erreichen.’ Es handelte sich mithin um einen Schauprozeß mit ‘erzieherischem’ Charakter vor ausgesuchtem Publikum“. Wesentliche Teile der öffentlichen Verhandlung sind per Tonband und wahrscheinlich auch filmisch festgehalten worden. Im Ministerbereich Mielke des Ministeriums für Staatssicherheit soll der Fall mit Akten und Fotos in einer Vitrine ausgestellt worden sein.

Dem gegenübergestellt nach vorliegendem Vernehmungsprotokoll noch einmal Fritz Fehrmann, der bei seinen Vernehmungen und vor Gericht trotz vieler Verzerrungen ohne Zweifel noch viel Mut und Standhaftigkeit gezeigt haben muss: „Dem Sozialismus räume ich unter den gegenwärtigen Bedingungen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland keine Perspektive ein. … In vielen Fällen nehme ich mir die ‘westliche Demokratie’ zum Vorbild. So vertrete ich die Meinung, dass in Westdeutschland eine größere persönliche ‘Freiheit’ für die Menschen besteht, als in der DDR, die persönliche Freiheit der Bürger der DDR zu sehr eingeschränkt und in der DDR zu wenig mit dem Mittel der Überzeugung gearbeitet wird, sondern vielmehr mit zuviel Zwang, wodurch die Menschen nach meiner Anschauung einen (sic) gewissen politischen Druck ausgesetzt wurden, der dazu führt, dass keiner wagt, seine politische Einstellung frei zu äußern. … Die Wahlen in der DDR halte ich nicht für demokratisch freie Wahlen des Volkes …, denn bei Wahlen müßte jeder zwischen zwei oder mehreren Parteien wählen können. Deshalb bin ich der Meinung, dass unsere Regierung nicht frei gewählt ist“.

Zu diesen Aussagen gehört ein großes Maß an innerer demokratischer Überzeugung. Denn jemand, der seine Spionage nur des Geldes wegen getan hat, würde sich nicht derart exponieren und gerade im Sinne der politischen Strafjustiz der DDR noch weiter „schuldig“ machen.

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